Good Practice aus der Wirtschaft - 16.08.2023

Weshalb in Rente gehen?

Rico Bolliger ist auch mit 65 Jahren überzeugt, dass er weiterhin und über das verordnete offizielle Rentenalter hinaus arbeiten möchte. Woher seine Überzeugung kommt, erzählt er im Interview.

1.      Herr Bolliger, weshalb möchten Sie mit 65 Jahren noch nicht in die wohlverdiente Rente?
Bereits die Fragestellung empfinde ich als pure Provokation: ich weiss natürlich was gemeint ist aber um Himmels Willen, was ist denn das für ein Ziel, was soll daran erstrebenswert sein «in Rente zu gehen»? Warum gibt es ein «Rentenalter»? Wir sind doch ein Leben lang, gesundheitliche Unwägbarkeiten vorbehalten, AKTIV; ein Teil unseres Aktivseins ist entlöhnt, nennt man offensichtlich «Arbeit», ein Teil davon nicht, läuft offensichtlich unter dem Begriff «Freizeit» oder sonst was Nebulösem. Darf ich nebenbei darauf hinweisen, dass es etliche Menschen gibt, für die diese so genannte «Arbeit» eigentlich Erfüllung ist, während sie die so genannte «Freizeit» als Last empfinden? Ein lebenslanges sinnvolles Aktivsein sollte m. E. die Losung für ein insgesamt erfülltes Leben sein, egal ob entlöhnt oder nicht.

2.      Was bedeutet es für Sie, die Komfortzone zu verlassen und etwas Neues zu wagen?
Keine Ahnung, denn das habe ich meines Wissens gar nie getan, sondern bin einfach immer meinem Instinkt/Verlangen gefolgt … Als ich 1986 nach meiner dreijährigen Bank-Berufslehre und den darauffolgenden sieben Praxisjahren dem «sicheren» Bankerjob für meine insgesamt sieben «Weltenbummler-Jahre» den Rücken kehrte, herrschte in der Schweiz Vollbeschäftigung. Zu jener Zeit brauchte es somit keinen Mut für diesen Schritt. Anders sah die Welt nach meiner Rückkehr im Jahr 1994 aus (Inflation / Ölkrise / für die CH bisher nicht gekannte hohe Arbeitslosenraten). Ich habe lange für eine neue Anstellung gesucht (damals notabene noch als JUNGE Person …). Während meiner langen Bewerbungszeit (ca. 18 Monate) habe ich es mir aber nicht nehmen lassen, in Genf das Wirtepatent zu erlangen – aus ehrlichem Interesse an der Gastronomie (ich liebe es hinter die Kulissen von Aktivitäten zu sehen, die ich ansonsten «nur» als begeisterter Kunde erlebe).

3.      Das Klischee, dass ältere Mitarbeitende innovationsmüde und nicht lernbegeistert sind, trifft auch bei Ihnen nicht zu. Was spornt Sie an, immer wieder neues zu lernen?
«Klischee» ist nur ein schöneres Wort für «Vorurteil», richtig? Ich würde den Protagonisten dieser «Klischees» vorschlagen, zuerst mal klar zu definieren, was denn «Innovation» überhaupt genau ist? Ich glaube diese Menschen haben einen engen ökonomischen Blickwinkel. Zählen Lebensweisheiten, Gelassenheit und damit verbundene neue philosophische Ansätze/Gedankengänge nicht zur Innovation?

4.      Was hat Sie dazu veranlasst, mit 53 Jahren nochmals die «Schulbank» zu drücken und den Master zu absolvieren?
Also, den Master habe ich erst mit 58 abgeschlossen, aber ab 53 hatte ich tatsächlich die Lust auf «akademische» Ausbildung entdeckt. Ich kann es nicht logisch erklären. So wie ich als ganz Junger das Bedürfnis verspürte, möglichst rasch vom Elternhaus unabhängig zu werden, so verspürte ich hier das Bedürfnis nach «akademisch-logischer» Bestätigung dessen, was ich eigentlich jahrzehntelang «on the job» praktiziert hatte. Dieser «umgekehrte» Werdegang hat mir wunderbare «Aha-Effekte» beschert.

5.      Wie haben Sie sich auf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmende positioniert und Arbeitgebende von Ihrem Mehrwert überzeugt?
Das habe ich nie getan, jedenfalls nicht bewusst. Überhaupt: weshalb soll denn der Arbeitsmarkt für «ältere» Arbeitnehmer ein besonderer Arbeitsmarkt sein? Aber ja, eigentlich eine gute Idee. In der jetzigen Pensionierungsphase der Babyboomer sollten wir eigentlich als besonderer Wert von ARBEITGEBERN umworben werden – wir haben nämlich einen beruhigenden/stabilisierenden Effekt auf die jüngeren/quecksilbrigen Generationen.

6.      Sie sind sehr vielfältig und breit interessiert. Welche Bedeutung hat lebenslanges Lernen für Sie, und wie haben Sie dieses Konzept in ihrer Karriere angewendet?
Ich verstehe zwar die Frage, weil man gerne alles logisch nachvollziehen möchte. Ist das Wort «Karriere» noch zeitgemäss, wirklich identitätsstiftend? Ganz generell bin ich der Meinung, dass wir die bisherigen linearen «Karriereschritte» (Geburt, Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf, Rente) entsorgen sollten. Ich bin überzeugt, dass wir künftig viel häufiger alternieren werden zwischen «Lernen» und «Arbeiten» - beides ein Leben lang – in diesem Sinne «lebenslang» und wer weiss, je nach Glauben, darüber hinaus?

7.      Was gefällt Ihnen bei der Generationenvielfalt von Generali am besten?
Dass es sich dabei nicht nur um ein Lippenbekenntnis handelt, sondern dass sie, soweit ich es überhaupt beurteilen kann, tatsächlich gelebt wird. Für unser kleines Team kann ich es jedenfalls bestätigen: Junge, weniger Junge und Ältere …. Wir sind alle spezielle Leute respektieren uns aber gegenseitig enorm. Jede/jeder von uns würde seine eigene Arbeit zurückstellen, wenn ein anderer in Schwierigkeiten stecken würde.

8.      Welche Ratschläge geben Sie Menschen in Ihrem Umfeld, die ihr berufliches Glück noch nicht gefunden haben oder sich in der Karriere-Planung befinden?
Keine. Meines Erachtens ist Glück nicht unterteilbar in «beruflich» und «privat». Man sollte mit seiner eigenen Person im Reinen sein. Das Wort Karriere würde ich aus dem Wortschatz streichen.

 

Über Rico Bolliger
Der berufliche Werdegang von Rico Bolliger ist alles andere als linear. Nach seiner Berufslehre im Finanzbereich hat er die Koffer gepackt, um andere Kulturen kennenzulernen und Sprachen zu lernen. Seine weitere Berufsetappe hat ihn mit Zwischenstopp als Wirt in die Versicherungsbranche geführt, wo er im Bereich der Beruflichen Vorsorge BVG (2. Säule) eine weitere Berufsausbildung absolvierte und sich seither stetig auf dem neuesten Bildungsstand hält. Im Alter von 58 Jahren hat er den Master im Bereich Pensionskassen absolviert und ist nun eigentlich im Rentenalter.


 

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